Vor dem Staatsanwalt liegt die Akte des Beschuldigten. Und er selbst steht vor der Entscheidung, ob er den vermeintlichen Täter vor das Strafgericht bringt oder ob er das Verfahren einstellt. Als Jurastudent lernte der Staatsanwalt Paragraphen aus dem Strafrecht, Definitionen und Fälle auswendig.
Jetzt muss er eine Entscheidung treffen, die einen gravierenden Einfluss auf das weitere Leben des Beschuldigten und des Opfers der Straftat hat. Er muss beurteilen, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht. Denn nur dann darf er Klage einreichen, und nur dann wird aus dem Beschuldigten ein Angeklagter.
FAQ: Hinreichender Tatverdacht
Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens muss die Staatsanwaltschaft feststellen, ob ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn aufgrund der Beweislage eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.
Ein hinreichender Tatverdacht kann die Eröffnung eines Hauptverfahrens begründen. Allerdings wird in diesem Fall vorab keine Untersuchungshaft angeordnet.
Inhaltsverzeichnis
Was ist ein hinreichender Tatverdacht und welche Rolle spielt er im Strafprozess?
Auf welcher Grundlage die Entscheidung über Anklage oder Verfahrenseinstellung zu fallen hat, sagt § 170 der Strafprozessordnung (StPO):
“(1) Bieten die Ermittlungen genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. …”
Und wann bieten die Ermittlungen genügend Anlass zur Klageerhebung? Ein hinreichender Tatverdacht, wie er hier verlangt wird, lässt sich folgendermaßen erklären. Der Staatsanwalt muss den gesamten Akteninhalt vorläufig bewerten:
- Welcher Sachverhalt ergibt sich aus der Akte zum Tathergang?
- Zu welchen Ergebnissen führen die bisher erhobenen Beweise? Legen die Zeugenaussagen z. B. den Schluss nahe, dass der Beschuldigte die Körperverletzung tatsächlich begangen hat?
Laut Definition liegt ein hinreichender Tatverdacht vor, wenn der Staatsanwalt bei dieser Bewertung zu dem Schluss kommt, dass eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher ist als sein Freispruch. Diese Wahrscheinlichkeit muss dabei bei über 50 Prozent liegen.
Dann darf Klage eingereicht werden, weil eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dahingehend besteht, dass der Beschuldigte verurteilt wird.
Er muss aber dennoch rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte berücksichtigen, um festzustellen, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht:
- War der Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht strafbar? Ist es z. B. eine vorsätzliche Körperverletzung, wenn ein paar Kumpanen ihrem schlafenden Kumpel die Haare abschneiden?
- Kann die Tat dem Beschuldigten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln bewiesen werden? Reichen z. B. die vorhandenen Zeugenaussagen als Beweis aus? Oder widersprechen sich die Aussagen z. B. dermaßen, dass es zweifelhaft ist, dass der Beschuldigte die Tat begangen hat?
Hinreichender Tatverdacht bei Aussage gegen Aussage
Die letzte Frage bringt uns zu einem neuen Problem. Angenommen, es gibt nur einen einzigen Zeugen (z. B. das Opfer selbst). Dann steht Aussage gegen Aussage – Beschuldigter gegen Opfer bzw. Zeuge.
Kann der Staatsanwalt dann trotzdem zu dem Schluss kommen, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht und die Klageerhebung gerechtfertigt ist?
Das ist eine schwierige Frage der Beweiswürdigung. Hier geht es darum, ob der Aussage des Zeugen als Beweismittel mehr Glauben geschenkt werden darf als der Aussage des Täters. Hier darf nicht nur die einzelne Aussage betrachtet werden. Der Staatsanwalt oder später der Richter muss sich die Fragen nach der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen stellen.
Die alles entscheidende Frage, die der Staatsanwalt beantworten muss, wenn er richtig einschätzen will, ob ein hinreichender Tatverdacht besteht, lautet: Wird der Belastungszeuge im Laufe des Verfahrens im Kern gleichbleibende Aussagen machen?
Die Rechtsprechung stellt dabei besondere Anforderungen an diese Beweiswürdigung. Zur Frage, ob ein hinreichender Tatverdacht trotz Aussage gegen Aussage bejaht werden kann, sind folgende Aspekte zu klären:
- Der Inhalt der Aussage ist genau zu analysieren.
- Wie ist die belastende Aussage entstanden?
- Gibt es ein bestimmtes Motiv des Zeugen für seine Aussage? Wenn ja, wie ist dieses zu bewerten?
- Wie konstant, detailliert und plausibel ist die Aussage des Belastungszeugen?
Es gibt übrigens noch andere Verdachtsgrade:
- Nur bei einem Anfangsverdacht darf die Ermittlungsbehörde Maßnahmen zur Strafverfolgung und Strafermittlung einleiten.
- Ein dringender Tatverdacht ist z. B. erforderlich, um die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten anzuordnen.
Dietmar K sagt
25. May 2021 at 13:45
Guten Tag
wie ist es zu Werten, wenn 2 Zeugen und 1 Geschädigter unterschiedliche Zeitabläufe bezeugen können, denen ein Zuge (des angeblichen Schädigers) alle Zeitabläufe bezeugen können
René L sagt
21. June 2020 at 12:55
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihre Seite ist sehr intressant. Auch die eventuellen Möglichkeiten einer Schadenersatzklage kässt Hoffnung wachsen nur, welcher Rechtsanwalt in München unterstützt einen Geschädigten ernsthaft gegen das Jobcenter und speziell einen Mitarbieter (Sachbearbeiter). Welcher Rechtsanwalt traut sich dann auch noch gegen den Staatsanwalt etwas zu unternehmen der ganz offensichtlich der Situation nicht die nötige Aufmerksamkeit würdigt und ein Verfahren wegen (nachweislich) gefährlicher Körperverletzung innerhalb einer Woche ohne Zulassung des Widerspruchs einstellt?
Für eine Empfehlung wäre ich sehr dankbar.
Mit freundlichen Grüßen