FAQ: Strafbarkeit des Versuchs
Unter einem Versuch ist im Strafrecht eine nicht vollendete Straftat zu verstehen, bei der nicht alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Der Täter hat also bereits mit der Tat begonnen, konnte oder wollte sie aber nicht zu Ende bringen.
Nein. Strafbar ist immer nur der Versuch eines Verbrechens wie Mord und Totschlag. Der Versuch eines Vergehens ist nur dann strafbar, wenn dies gesetzlich ausdrücklich geregelt ist. Das trifft z. B. auf eine versuchte Körperverletzung zu.
Die Strafbarkeit des Versuchs entfällt laut § 24 Abs. 1 StGB, wenn der Täter von seinem „freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert“. Näheres zum Rücktritt erfahren Sie hier.
Inhaltsverzeichnis
Nicht nur die Tat, auch der Versuch zählt
Person A sticht mehrmals mit dem Messer auf Person B ein, in der festen Absicht, sie zu töten. Der Plan scheitert, B überlebt. Unser Rechtsempfinden sagt uns, dass eine solche Tat trotzdem bestraft gehört – und zwar nicht nur als gefährliche Körperverletzung, sondern als versuchter Totschlag.
Und tatsächlich ist der versuchte Totschlag laut § 23 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar, weil Totschlag ein Verbrechen darstellt, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren bestraft wird.
In diesem Ratgeber geht es um die allgemeine Strafbarkeit des Versuchs einer Straftat. Wir erläutern unter anderem, was genau ein Versuch ist, wann der Täter dafür bestraft werden kann und unter welchen Voraussetzungen er dennoch straffrei ausgeht. Dabei kommen wir immer wieder auf das obige Beispiel zurück.
Der Versuch im Strafrecht einfach erklärt
Ein Täter wird erst dann wegen eines bestimmten Straftatbestands, z. B. wegen Totschlags bestraft, wenn er alle Tatbestandsmerkmale der Strafvorschrift, beispielsweise des § 212 StGB, erfüllt. Um bei dem in der Einleitung erwähnten Beispiel eines versuchten Totschlags zu bleiben:
- Totschlag liegt nur dann vor, wenn das Opfer wirklich tot ist.
- Für die Strafbarkeit bedarf es weiterhin einer Tathandlung. Im obigen Beispiel sind das die Messerstiche.
- Der Täter muss außerdem vorsätzlich – mit Tötungsvorsatz – gehandelt haben.
Eine Strafbarkeit des Versuchs kommt immer dann in Betracht, wenn eine Straftat nicht vollendet wurde, weil:
- der sogenannte „tatbestandliche Erfolg“ ausgeblieben ist (B ist nicht tot, sondern hat die Messerstiche überlebt) oder
- weil ihm dieser „Erfolg“ nicht zugerechnet werden kann (B überlebt die Messerstiche, wird aber kurz darauf von Person C vergiftet, ohne dass A davon weiß).
Die dritte Möglichkeit einer Versuchsstrafbarkeit ist, dass die Tat objektiv gerechtfertigt wäre, ohne dass der Täter davon weiß. Um das Eingangsbeispiel noch einmal aufzugreifen: B will A erschießen, allerdings ist A ein paar Sekunden schneller und sticht zu, bevor er die auf ihn gerichtete Pistole in der Jackentasche des B erkennen kann. B stirbt an den Stichen.
Normalerweise wäre die Tötung des B durch A als Notwehr gerechtfertigt, aber A wollte sich nicht verteidigen, sondern B töten. Die Strafbarkeit des Versuchs von A, B mit dem Messer zu töten, ist unter Juristen stark umstritten. Während die einen nur eine versuchte Tötung annehmen, gehen andere von einem vollendeten Delikt aus.
Voraussetzungen für die Strafbarkeit des Versuchs
Nach den §§ 22 – 24 StGB ist ein Versuch nur strafbar, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- keine Vollendung der Tat
- Strafbarkeit des Versuchs
- Tatentschluss bezüglich aller Tatbestandsmerkmale
- unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung
- Rechtswidrigkeit und Schuld
- kein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch im Sinne des § 24 StGB
Ein weiteres Beispiel, um die Voraussetzung „Nichtvollendung der Tat“ zu veranschaulichen: Jurastudent J steckt in der Buchhandlung ein kleines Fachbuch in seine Tasche, um es zu stehlen. Kurz darauf packt ihn das schlechte Gewissen und er geht vor der Kasse noch einmal zurück und legt das Buch wieder ins Regal.
Das ist kein Versuch mehr, sondern ein vollendeter Diebstahl, weil J bereits alle Tatbestandsmerkmale dieser Tat erfüllt hat. Das In-die-Tasche-stecken mit der Absicht, sich das Buch ohne Bezahlung anzueignen, ist bereits eine Wegnahme – auch wenn J die Kasse noch gar nicht passiert hat.
Strafbarkeit des Versuchs nach § 23 StGB
Allerdings zieht nicht jede versuchte Straftat auch eine Strafe nach sich. Laut § 23 StGB ist nur der Versuch eines Verbrechens immer strafbar. Ein versuchtes Vergehen ist es nur, wenn das Gesetz dies ausdrücklich festlegt.
Verbrechen und Vergehen unterschieden sich laut § 12 StGB im Strafmaß: Für Verbrechen droht eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Für Vergehen liegt das Mindestmaß in einer kürzeren Freiheitsstrafe oder in einer Geldstrafe.
Die folgende Liste benennt einige Beispiele für die Strafbarkeit des Versuchs von Verbrechen und Vergehen:
- Betrug (Vergehen)
- Diebstahl (Vergehen)
- Erpressung (Vergehen)
- Freiheitsberaubung (Vergehen)
- Körperverletzung (Vergehen)
- Misshandlung Schutzbefohlener (Vergehen)
- Mord (Verbrechen)
- Nötigung (Vergehen)
- Raub (Vergehen)
- Sachbeschädigung (Vergehen)
- sexueller Übergriff, Vergewaltigung (Vergehen)
- Totschlag (Verbrechen)
Keine Versuchsstrafbarkeit ohne Tatentschluss
Eine Strafbarkeit des Versuchs setzt weiter voraus, dass der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Deshalb gibt es keinen Versuch bei Fahrlässigkeitsdelikten.
Der Vorsatz muss sich außerdem auf die Kausalität (Ursächlichkeit) und die Möglichkeit der Vollendung beziehen.
In unserem Beispiel aus der Einleitung handelte Messerstecher A sehr wohl vorsätzlich. Er wusste, dass die Messerstiche tödlich sein können und beabsichtigte die Tötung des B.
Unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung
Jede Straftat lässt sich in verschiedene Phasen einteilen. Aber nicht jede Phase ist bereits strafbar:
- Planungsphase: Der Täter macht sich Gedanken über die Tat und wie er sie begehen würde. A überlegt sich, dass er B mit einem Messer erstechen könnte. Diese Phase ist straflos.
- Vorbereitungsphase: Der Täter trifft konkrete Maßnahmen und Vorbereitungen für seine Tat. A kauft sich ein stabiles Küchenmesser, mit dem er B töten will. Auch diese Phase ist normalerweise straffrei, bis auf einige wenige Ausnahmen. Wer etwa staatsgefährdende Gewalttaten (Terrorakte) vorbereitet, macht sich durchaus strafbar.
- Versuchsstadium: In dieser Phase beginnt die Strafbarkeit des Versuchs. Allerdings ist es manchmal schwierig, diese Phase von straffreien Vorbereitungshandlungen des Täters abzugrenzen. § 22 StGB verlangt für einen Versuch, dass der Täter „zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt“.
- Vollendung der Straftat: Der Täter hat sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt. Die Tat ist vollendet.
Wann aber ein Straftäter unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt, erklärt das Gesetz nicht. Deshalb schauen wir uns den Beginn der Strafbarkeit des Versuchs am folgenden Beispiel näher an:
A will den Nebenbuhler seiner Frau, den N, aus Eifersucht töten. Hierfür spioniert er zuerst die Lebensgewohnheiten des N aus und kauft sich ein Gewehr. Eines Tages fährt er schließlich zum Haus des N und lauert seinem Opfer dort hinter einem Baum auf. In dem Moment, in dem N vor die Haustür tritt, zielt A auf ihn. N bemerkt den Schützen und flieht zurück ins Haus. Daraufhin macht sich A aus dem Staub.
In welchem Moment überschreitet A die Schwelle zur Strafbarkeit des Versuchs, N zu ermorden? Das Auskundschaften der Wohngegend, der Kauf des Gewehrs, die Fahrt zum Haus des N und auch das Auflauern hinter einem Baum sind nur Vorbereitungshandlungen. Erst in dem Moment, in dem A auf den N zielt, setzt er unmittelbar zu Tat an.
Der Bundesgerichtshof (BGH) definiert das unmittelbare Ansetzen wie folgt:
„Ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte zur – vollständigen – Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in die Tatbestandsverwirklichung einmündet.“
BGH, Beschluss vom 14.1.2020, 4 StR 397/19
Versuch und Rücktritt nach § 24 StGB
Der Rücktritt spielt im Strafrecht eine wichtige Rolle, weil er es dem Täter ermöglicht, doch noch straffrei zu bleiben. Der Gesetzgeber baut dem Straftäter mit dieser Chance der Straffreiheit „eine goldene Brücke“, die gleichzeitig das Opfer vor Schlimmerem bewahren soll. Allerdings scheidet eine Strafbarkeit des Versuchs wegen Rücktritts nur aus:
- der Versuch nicht fehlgeschlagen ist
- der Täter die weitere Tatausführung freiwillig aufgibt bzw.
- die ihre Vollendung freiwillig verhindert
Der potentielle Mörder A, der seinem Nebenbuhler aufgelauert hat, wurde von seinem Opfer entdeckt, das daraufhin floh. Es bleibt damit bei der Strafbarkeit des Versuchs, weil sein Vorhaben, N zu erschießen, scheiterte. Dieser Versuch ist fehlgeschlagen.
Der Täter geht nur dann straffrei aus, wenn er freiwillig von seinem Vorhaben ablässt bzw. alles unternimmt, um die Tatvollendung zu verhindern. Kehren wir noch einmal zum Beispiel des missglückten Eifersuchtsmords zurück:
- Angenommen A steht hinter dem Baum und zielt auf N, ohne von diesem entdeckt zu werden. Dann könnte A jetzt noch straffrei zurücktreten, wenn er das Gewehr sinken lässt und nicht abdrückt.
- Angenommen A schießt und trifft N. dieser wird jedoch „nur“ verletzt. Wenn A jetzt zu seinem Opfer geht und alles versucht, um den Tod von N zu verhindern (erste Hilfe, Notruf etc), könnte er noch straffrei davonkommen.
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