FAQ: Putativnotwehr
Putativnotwehr beschreibt laut Definition eine Situation, in der jemand sich jemand gegen einen vermeintlichen Angriff verteidigt, obwohl tatsächlich keine Notwehrlage besteht. Hier erfahren Sie genaueres.
Nein. § 33 StGB regelt den Notwehrexzess, bei dem tatsächlich eine Notwehrlage besteht, der Täter aber unangemessen bzw. überreagiert. An dieser Stelle lesen Sie mehr.
Putativnotwehr bleibt nur straflos, wenn der Täter seinen Irrtum nicht hätte vermeiden können – mehr dazu in diesem Abschnitt.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Putativnotwehr am Beispiel erklärt?
Beginnen wir mit einem Beispiel: Ein Mann wird aus dem Schlaf gerissen, weil sich jemand an seiner Wohnungstür zu schaffen macht.
Er glaubt, dass es sich um einen Einbrecher handelt und schaltet das Licht ein, um diesen zu vertreiben. Die Person versucht sich weiter an dem Schloss und reagiert auch nicht auf die lautstarke Aufforderung des Mannes, zu verschwinden.
Der Mann fühlt sich nun in seinem Leben bedroht und schießt in Richtung Wohnungstür. Er trifft den vermeintlichen Einbrecher tödlich. Tatsächlich handelt es sich um seinen stark betrunkenen Nachbarn, der sich in der Wohnungstür geirrt hatte und gar nicht einbrechen wollte.
Das ist ein Beispiel für Putativnotwehr. Hier geht der Schütze irrtümlich von einem rechtswidrigen Angriff (Einbruch) aus und verteidigt sich. Objektiv betrachtet besteht aber gar keine Notwehrlage. Das heißt, der Täter glaubt, sein Handeln, z. B. der Schuss durch die Wohnungstür, sei gerechtfertigt – ist es tatsächlich aber nicht.
Nun stellt sich die Frage, wie diese Putativnotwehr rechtlich einzuordnen ist:
- Der Schütze handelte vorsätzlich, denn er wollte die Person hinter der Tür zumindest treffen. Dass es sich dabei um den Nachbarn und nicht um einen Einbrecher handelt, spielt keine Rolle. Der Irrtum über die Identität des Opfers (error in persona) ist ein unerheblicher Motivirrtum. Damit handelt es sich um Totschlag.
- Die Tat war rechtswidrig, weil Putativnotwehr eben kein Rechtfertigungsgrund ist. Vielmehr scheidet Notwehr aus, weil objektiv betrachtet kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorlag.
Exkurs: Notwehr im Sinne des § 32 StGB setzt Folgendes voraus:
- Notwehrlage: gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff
- Erforderliche Verteidigung: eine für die Abwehr geeignete Handlung, die gleichzeitig das mildeste Mittel darstellt
- Gebotenheit der Verteidigung
- Täter handelt in Kenntnis und aufgrund der Notwehrlage
Steht Putativnotwehr unter Strafe? Rechtliche Einordnung
Die Putativnotwehr ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt. Sie gilt als Unterform des Erlaubnistatbestandsirrtums. Das heißt, der Täter geht irrig von einer Rechtfertigungssituation – hier von Notwehr – aus, die objektiv aber nicht vorlag.
Er kennt zwar die rechtlichen Rahmenbedingungen, verkennt aber die tatsächlichen Umstände. Er irrt sich nicht in rechtlicher, sondern in tatsächlicher Hinsicht. Die strafrechtliche Einordnung ist unter Juristen umstritten. Die Rechtsprechung vertritt in der Regel die eingeschränkte Schuldtheorie. Das bedeutet konkret Folgendes:
Putativnotwehr bleibt straffrei:
- wenn der Irrtum des Täters unvermeidbar war, d. h.
- wenn der Täter unter voller Anstrengung seines Wissens und Gewissens zweifelsfrei zu dem Schluss kommt, rechtmäßig zu handeln.
Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit:
- wenn der Irrtum vermeidbar war, d. h.
- wenn er hätte erkennen können, dass keine Notwehrlage vorlag, und
- Fahrlässigkeit strafbar ist, z. B. als fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung
Strafbarkeit wegen Vorsatz:
- wenn der Irrtum vermeidbar war, d. h.
- wenn er hätte erkennen können, dass keine Notwehrlage vorlag, und
- dem Täter vorsätzliches Handeln nachgewiesen werden kann
Beruft sich der Beschuldigte auf eine (nicht existierende) Notwehrlage, kann sein Anwalt verschiedene Ansätze der Strafverteidigung verfolgen:
- Nachweis, dass der Beschuldigte tatsächlich von einer Notwehrlage, also einem rechtswidrigen Angriff ausging
- Nachweis der Unvermeidbarkeit des Irrtums mit dem Ziel eines Freispruchs wegen Putativnotwehr
- Tatsachen und Argumente gegen grobe Fahrlässigkeit vorbringen, um eine möglichst milde Strafe zu erreichen, falls der Vorwurf eines Fahrlässigkeitsdelikt im Raum steht
- Falsche Zeugenaussagen und polizeiliche Ermittlungsfehler aufdecken
Unterschied zwischen Putativnotwehr und Notwehrexzess
Ein Notwehrexzess gemäß § 33 StGB liegt vor, wenn eine Notwehrlage objektiv vorliegt. Aber der angegriffene Täter verteidigt sich unangemessen bzw. übermäßig. Er übt mehr Gewalt aus als erforderlich bzw. geboten und wählt nicht das mildeste mögliche Verteidigungsmittel.
Ein solches Verhalten bleibt straflos, wenn der Täter „aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken“ so gehandelt hat. Sein Handeln wird also entschuldigt, weil es auf einer menschlichen Schwäche beruht.
Ein solcher Notwehrexzess liegt z. B. vor, wenn X von Y in ein Handgemenge verwickelt wird und in Panik gerät. Der angegriffene X sticht zu seiner Verteidigung sofort mit dem Messer zu, obwohl er den Angriff des Y mit einem einzigen Faustschlag in dessen Magengrube beenden können.
Anders als bei der Putativnotwehr liegt beim Notwehrexzess tatsächlich eine Notwehrlage vor, aber die Notwehrhandlung ist nicht erforderlich bzw. nicht geboten.
Von einem Putativnotwehrexzess spricht man, wenn der Täter irrtümlich von einer – nicht existierenden – Notlage ausgeht und gleichzeitig der Grenzen der Notwehr (Erforderlichkeit und Gebotenheit) überschreitet. Nach der herrschenden Meinung ist § 33 StGB in diesem Fall nicht anwendbar, weil eben keine Notwehrlage besteht. Stattdessen kommt ein Verbotsirrtum nach § 17 StGB in Betracht, der – sofern er unvermeidbar war – zur Schuld- und damit Straflosigkeit des Täters führt.
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